BGH v. 18.2.2020 - KZR 7/17

Arte muss Einspeiseentgelte an Kabelnetzbetreiber zahlen

Beruht die durch mehrere, untereinander im Wettbewerb stehende Unternehmen gemeinsam erklärte Kündigung eines Vertrages auf einer wettbewerbswidrigen Verhaltensabstimmung und ist die Kündigung deshalb unwirksam, gilt dies auch für die Kündigungserklärung eines Gemeinschaftsunternehmens, hinsichtlich dessen eigenen Verhaltens sich die übrigen beteiligten Unternehmen als dessen Gesellschafter abstimmen dürfen.

Der Sachverhalt:
Die Klägerin betreibt im Bundesgebiet - mit Ausnahme der Länder NRW, Hessen und Baden-Württemberg - Breitbandkabelnetze. Darüber führt sie die Signale von Rundfunkveranstaltern an die regionalen Netze heran und verteilt sie bis zur Netzebene 4 (Hausverkabelung). Sie bietet Endkunden (Zuschauerhaushalten) und der Wohnungswirtschaft gegen Entgelt verschiedene Kabelanschlussprodukte an. Etwa die Hälfte der Zuschauerhaushalte in Deutschland wird über Kabelanschlüsse mit Fernsehprogrammen versorgt.

Die Beklagte veranstaltet den deutschsprachigen Teil des Fernsehprogramms des deutsch-französischen Kulturkanals ARTE und stellt ihre Programmsignale den Betreibern von Kabelnetzen in Deutschland zur Verfügung. Sie ist neben ARTE France S.A. Mitglied der ARTE G.E.I.E., die auf der Grundlage eines Staatsvertrags den Fernsehsender ARTE betreibt. Die Gesellschafter der Beklagten sind zu gleichen Teilen die in der ARD zusammengeschlossenen Landesrundfunkanstalten und das ZDF.

ARD, ZDF, Deutschlandradio und die Beklagte/ARTE zahlten der Klägerin auf der Grundlage eines 2008 geschlossenen Vertrags ein jährliches Entgelt i.H.v. 27 Mio. € zzg. Umsatzsteuer für die digitale und analoge Einspeisung ihrer Programmsignale in die Kabelnetze der Klägerin. Der Einspeisevertrag hatte eine Laufzeit bis Ende 2012 und sollte sich jeweils um ein Jahr verlängern, wenn er nicht von einer der Parteien spätestens sechs Monate vor Ablauf gekündigt wird.

Die Vertreter der ARD erzielten in einer Besprechung mit dem ZDF am 22.3.2011 Einvernehmen darüber, den Einspeisevertrag zum Ablauf des Jahres 2012 zu kündigen. Mit nahezu wortgleichen, in demselben Umschlag versandten Schreiben vom 19.6.2012 erklärten die Beklagte und die anderen am Einspeisevertrag beteiligten Rundfunkanstalten die Kündigung des Einspeisevertrags zum 31.12.2012. Mit Schreiben vom 30.6.2015 erklärte die Beklagte vorsorglich erneut die Kündigung des Einspeisevertrags nebst Ergänzungsvereinbarungen. Die Klägerin speist die Rundfunksignale, die die Beklagte zur Verfügung stellt, weiterhin in ihre Netze ein. Die Beklagte leistet dafür kein Entgelt mehr.

Die Klägerin hielt die Kündigung des Einspeisevertrags für unwirksam. Sie begehrte in erster Linie die Feststellung, dass der Einspeisevertrag auch nach Ablauf des 31.12.2012 fortbestehe. Das LG hat die Klage abgewiesen. Das OLG hat die Beklagte zur Zahlung von über 1,3 Mio. € verurteilt. Auf die Revisionen beider Beteiligter hat der BGH das Berufungsurteil insoweit aufgehoben, als die Klage abgewiesen und die Beklagte zur Zahlung von mehr als 1.190.000 € verurteilt worden war. Im Umfang der Aufhebung wurde die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das OLG zurückverwiesen.

Gründe:
Das OLG hat zu Unrecht angenommen, dass der Klägerin für das Jahr 2013 kein Anspruch auf das vertraglich vereinbarte Einspeiseentgelt zusteht. Die von der Beklagten erklärte Kündigung hatte den Einspeisevertrag nebst Ergänzungsvereinbarungen nämlich nicht beendet. Der Kündigung der Verträge zum 31.12.2012 lag eine nach § 1 GWB verbotene Abstimmung unter Wettbewerbern zugrunde. Die von der Beklagten erklärte Kündigung war daher gem. § 134 BGB unwirksam.

ARTE steht mit den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten, die Vertragspartei des Einspeisevertrags sind, im Wettbewerb. Soweit das OLG angenommen hatte, die Verhaltensabstimmung habe "in Bezug auf die Beklagte" gleichwohl keine Wettbewerbsbeschränkung bezweckt oder bewirkt, weil sich deren Gesellschafter hinsichtlich des Verhaltens von ARTE hätten abstimmen dürfen und müssen, soweit sie über dieses zu entscheiden hatten, ging dies fehl. Dass sich die Mitglieder der ARD und das ZDF hinsichtlich des Verhaltens von ARTE abstimmen durften und gegebenenfalls mussten, änderte nichts daran, dass sich die Rundfunkanstalten weder untereinander noch mit ARTE auf ein gemeinsames Verhalten verständigen durften.

Ebenso unerheblich ist es, ob die für die Beklagte getroffene Kündigungsentscheidung maßgeblichen Einfluss auf die Entscheidung der anderen Rundfunkanstalten hatte. Der Unwirksamkeit der Kündigung stünde auch nicht entgegen, wenn bereits der Einspeisevertrag auf einer verbotenen Verhaltensabstimmung beruhte. Dieser Vertrag wäre im Zweifel mit Rücksicht auf das Schutzbedürfnis der Klägerin als eines Mitglieds der Marktgegenseite, die im Interesse der Rechtssicherheit nicht der Ungewissheit über die Gültigkeit ihrer Vertragsbeziehungen und der von ihr erworbenen Ansprüche ausgesetzt werden soll, als wirksam zu betrachten. Jedenfalls wäre es der Beklagten im Verhältnis zur Klägerin nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) verwehrt, sich auf eine solche Nichtigkeit des Vertrags zu berufen.

Da die Beklagte den Einspeisevertrag nebst Ergänzungsvereinbarungen mit der Klägerin nicht wirksam zum 31.12.2012 gekündigt hat, steht der Klägerin das vertraglich vereinbarte Entgelt für das Jahr 2013 zu. Das Berufungsgerichte hatte jedoch insbesondere nicht zur Wirksamkeit der mit Schreiben vom 30.6.2015 erneut erklärten Kündigung der Beklagten keine Feststellungen getroffen, weshalb der Senat über diesen Antrag nicht abschließend entscheiden kann.


Verlag Dr. Otto Schmidt vom 18.03.2020 17:13
Quelle: BGH online

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