Aktuell in CR

Zur indirekten und automatisierten Nutzung von User-basiert lizenzierter Software (Scholz, CR 2019, 417)

Unternehmensanwendungen, insbesondere ERP-Systeme, werden im Zuge fortschreitender Digitalisierung zunehmend zum einen indirekt über vor- oder zwischengeschaltete Softwaresysteme und zum anderen automatisiert mithilfe von RPA-Software genutzt. Die praktisch bedeutsame, gerichtlich in Deutschland noch nicht entschiedene Frage, ob solche Nutzungen im Fall User-basierter Lizenzierung der ERP-Software ohne weiteren Lizenzerwerb zulässig sind (I.), wird in der Literatur teilweise kontrovers diskutiert. Der Beitrag geht dieser Frage nach und nimmt dabei sowohl denkbare urheberrechtliche (II.) wie auch vertragliche (III.) Ansprüche des Softwareherstellers gegen solche Nutzungen in den Blick.

Eine Bewertung aus urheber- und vertragsrechtlicher Sicht

Inhaltsverzeichnis:

I. Ausgangsszenario

1. Indirekte und automatisierte Nutzung

2. Fragestellung

II. Urheberrechtliche Bewertung

1. Urheberrechtlich relevante Nutzung

a) Vervielfältigung

aa) Indirekte Nutzung
bb) Automatisierte Nutzung mittels RPA-Software

b) Öffentliche Wiedergabe bzw. Zugänglichmachung

2. Indirekte bzw. automatisierte Nutzung "bestimmungsgemäß" i.S.v. § 69d Abs. 1 UrhG?

a) Indirekte Nutzung

aa) Bedeutung der vereinbarten Named-User-Lizenz
      (1) Wirksamkeit und Rechtsnatur von Named-User-Lizenzen
      (2) Folgerung für den Umfang der bestimmungsgemäßen Nutzung
      (3) Konsequenz: Indirekte Nutzung nur durch autorisierte definierte Nutzer

bb) Bedeutung der Bereitstellung von Schnittstellen bzw. der Interoperabilität des ERP-Programms

cc) Abwägung von Hersteller- und Anwenderinteressen

b) Automatisierte Nutzung

3. Indirekte bzw. automatisierte Nutzung durch § 69e UrhG gerechtfertigt?

4. Zwischenergebnis zur urheberrechtlichen Bewertung

III. Vertragsrechtliche Bewertung

1. Named-User-Lizenz als vertragliche Anspruchsgrundlage

2. Wirksamkeit der Vereinbarung

a) Zulässigkeit schuldrechtlicher Nutzungsregelungen
b) Wirksamkeit nach § 69d UrhG und AGB-Recht

3. Rechtsfolgen

IV. Zusammenfassung

 


I. Ausgangsszenario

[1] Traditionell wird Software durch Menschen genutzt. Die zur Bedienung nötigen Eingaben erfolgen über die Benutzeroberfläche des Programms (Graphical User Interface, kurz GUI). Daran knüpfen auch die klassischen nutzerbasierten Modelle der Softwarelizenzierung an, darunter das seit langem etablierte, bei ERP-Systemen verbreitete Named-User-Prinzip, 1  bei dem sich der Nutzungsumfang und die Vergütung nach der vereinbarten Zahl definierter nutzungsberechtigter Personen richten. 2  Dieses beruht auf der Annahme der Parteien eines Softwareüberlassungsvertrags, dass die Zahl der zur Nutzung berechtigten Personen einer bestimmten Intensität der Softwarenutzung entspricht und daher ein geeignetes Anknüpfungskriterium für einen angemessenen Ausgleich zwischen den wirtschaftlichen Partizipationsinteressen der Softwarehersteller und den berechtigten Anwenderinteressen bietet.

1. Indirekte und automatisierte Nutzung

[2] Unternehmen nutzen ERP-Systeme indes zunehmend nicht mehr nur durch die vereinbarten autorisierten Personen. Vielmehr werden solche Systeme vermehrt auch indirekt über andere, mittels Schnittstellen vor- oder zwischengeschaltete Softwareprogramme durch Personen genutzt, die nicht zu dem Kreis der durch die Named-User-Lizenzen definierten Nutzer zählen. 3  Daneben gehen manche Unternehmen zu einer vollständig automatisierten, nicht einmal mehr durch eine auch nur indirekte menschliche Nutzung initiierte Anwendung von Software über. Eine solche automatisierte Softwarenutzung wird durch den Einsatz sog. Robotic Process Automation Software (kurz „RPA“) ermöglicht. Dabei „nutzt“ die RPA Software – vereinfacht ausgedrückt – das ERP-Programm direkt über dessen GUI, ohne dass es dazu einer Schnittstelle bedarf, und ersetzt so den menschlichen Softwareanwender. 4

[3] Indirekte Nutzung von Software kann missbräuchlich zur Umgehung des Named-User-Prinzips und zur Einsparung von Lizenzkosten erfolgen. 5  Meist ist die lediglich indirekte oder gar vollständig automatisierte Nutzung von Unternehmensanwendungen aber die Folge der fortschreitenden, auch die Softwarenutzung als solche erfassenden Digitalisierung und der unternehmerischen Entscheidung von Anwendern, IoT-Technologien und mit dem ERP-System über Schnittstellen interagierende Drittprogramme einzusetzen. 6  Auch die Nutzung sog. Self Service Systeme, beispielsweise von Zeiterfassungssystemen, 7  geht regelmäßig mit der indirekten Nutzung z.B. zentraler HR- oder sonstiger Unternehmensanwendungen einher.

2. Fragestellung

[4] Es liegt auf der Hand, dass die skizzierten Phänomene der indirekten und der automatisierten Nutzung von Unternehmenssoftware jedenfalls in ein Spannungsverhältnis zu dem der Lizenzierung solcher Systeme zugrunde liegenden Named-User-Prinzip treten. Denn die indirekte Nutzung erfolgt typischerweise zumindest auch – wenn nicht vorrangig – durch andere Personen als die nach der Lizenz autorisierten Nutzer und in vielen Fällen durch erheblich mehr Personen als vereinbart. Und die automatisierte Nutzung findet überhaupt nicht durch Personen statt, sondern mithilfe von Softwaretools und ggf. sogar neben einer weiterhin parallel fortbestehenden Nutzung durch die autorisierten Nutzer. Softwarehersteller sehen daher – nicht nur in den erwähnten Umgehungskonstellationen – ihr wirtschaftliches Partizipationsinteresse gefährdet.

[5] Während die Literatur die bislang noch kaum thematisierte Frage der Zulässigkeit der automatisierten Nutzung User-basiert lizenzierter Software verneint, 8  wird die indirekte Nutzung in Teilen des Schrifttums mit unterschiedlichen Argumenten als grundsätzlich urheberrechts- und vertragskonform verteidigt. 9  Es fragt sich aber, ob diese verteidigenden Argumente einer kritischen Prüfung standhalten.

[6] Nachfolgend wird daher zunächst die urheberrechtliche (II.) und sodann die vertragsrechtliche (III.) Sicht zur indirekten und automatisierten Nutzung beleuchtet. Dabei wird der praktisch bedeutsame 10  Fall zugrunde gelegt, dass ein Unternehmen an einem ERP-Programm 11  das Recht zur Nutzung durch eine bestimmte Zahl definierter („named“) User erworben hat, das Programm jedoch (auch) indirekt über per Schnittstelle vorgeschaltete Systeme und zudem automatisiert mithilfe von RPA-Tools nutzt.

II. Urheberrechtliche Bewertung

[7] Bei ERP-Software handelt es sich durchweg um komplexe Softwareanwendungen, die gem. § 69a UrhG Urheberrechtsschutz genießen. Es fragt sich daher zunächst, ob die indirekte und die automatisierte Nutzung urheberrechtlich zulässig ist oder ob diese nur mit Zustimmung des Softwareherstellers gegen gesonderte Vergütung erfolgen darf. (...)

 

Hier direkt weiterlesen im juris PartnerModul IT-Recht


Verlag Dr. Otto Schmidt vom 15.07.2019 09:51

zurück zur vorherigen Seite