Aktuell in CR

Art. 17 Urh-RL & die Upload-Filter: verschärfte Störerhaftung oder das Ende der Freiheit im Internet? (Volkmann, CR 2019, 376 ff.)

Im Anschluss an die Analyse der neuralgischen Punkte der neuen Richtlinie 2019/790 (Urh-RL) von Spindler, CR 2019, 277 ff., vertieft der Beitrag die Untersuchung der neu geregelten Haftung von Diensteanbietern für Inhalte der Nutzer. Ausgehend von einem Vergleich mit dem gegenwärtigen Haftungsregime (I.), werden die in Art. 17 Urh-RL geregelten Neuerungen im Hinblick auf ihre nationale Umsetzung analysiert (II.). Die Ergebnisse münden in einen konkreten Lösungsansatz, der dem Gesetzgeber für die künftige Neuregelung der Unterlassungs- und Schadensersatzhaftung vorgeschlagen wird (III.).

Zugleich ein konkreter Lösungsvorschlag zur „Quadratur des Kreises“ bei der nationalen Umsetzung von Art. 17 Urh-RL

 

Inhaltverzeichnis:

I.     Urheberrechtsverletzungen auf Sharing-Plattformen: Vergleich zur noch geltenden Rechtslage

1.    Unterlassungshaftung des Störers und Filterpflichten

2.    Schadensersatzhaftung der Sharing-Plattform als Täter oder Teilnehmer

II.   Die Regelungen des Art. 17 Urh-RL

1.   Zurechnung von Verwertungshandlungen der Nutzer

2.   Ausnahmen von der Verantwortlichkeit der Diensteanbieter

3. Dogmatische und tatsächliche Herausforderungen des Art. 17 Abs. 4 Urh-RL

a)    Keine Verantwortung der Diensteanbieter für den ersten Urheberrechtsverstoß
b)   Verantwortung bei gänzlich unterbliebenen Lizenzbemühungen
c)    Haftung auf Unterlassung und Upload-Filter
d)   Anforderungen an die Upload-Filter
e)    Verhältnismäßigkeitsprüfung, Art. 17 Abs. 5 Urh-RL

4. Schrankenregelungen

5.   Haftung der Diensteanbieter auf Schadensersatz

III.   Fazit zum nationalen Umsetzungsspielraum für Unterlassungs- und Schadensersatzhaftung

  

  


 

I. Urheberrechtsverletzungen auf Sharing-Plattformen: Vergleich zur noch geltenden Rechtslage

[1] Art. 17 (vormals Art. 13) beschreibt wohl die umstrittenste Regelung der Ende April verabschiedeten überarbeiteten Infosoc-RL (im Folgenden: Urh-RL). 1

[2] Art. 17 Urh-RL erklärt den Diensteanbieter 2  von Inhalten, die Nutzer hochladen, zum Täter dieser urheberrechtlichen Nutzungshandlungen. Der Diensteanbieter muss für das öffentliche Zugänglichmachen bei den Rechteinhabern die entsprechenden Lizenzen erwerben. Gelingt dies nicht, wird der Diensteanbieter dennoch von der Haftung für das unerlaubte Hochladen der Nutzer befreit, wenn er u.a. alle Anstrengungen unternommen hat, um die Verfügbarkeit der Inhalte zu vermeiden. In dieser Regelung zum Haftungsausschluss verbirgt sich die umstrittene Verpflichtung, Upload-Filter einzusetzen.

[3] Die Vorschrift hat europaweit mediale Aufmerksamkeit erhalten. In Deutschland gab es zahlreiche Demonstrationen gegen die Neuregelung, Abgeordnete des Europäischen Parlaments wurden mit E‑Mail-Bots überhäuft. 3  Selbst über gekaufte Demonstranten wurde berichtet. 4  YouTube hat das Reformvorhaben öffentlich kritisiert und mit der Aussage, kleinere Kanäle müssten eventuell geschlossen werden, Nervosität bei den Nutzern hervorgerufen. 5

[4] Die urheberrechtliche Täterschaft des Diensteanbieters für das Teilen von Online-Inhalten durch Nutzer stellt das bisherige, durch die Rechtsprechung des BGH ausgearbeitete Haftungskonzept für Sharing-Plattformen 6  nach § 19a UrhG auf den Kopf. Bisher geht die Rechtsprechung davon aus, dass Plattformen wie YouTube u.a. mangels Kenntnis von der konkreten Rechtsverletzung weder eine eigene Tathandlung des § 19a UrhG begehen, noch sich die Inhalte der Nutzer zu eigen machen, noch als Teilnehmer für Rechtsverletzungen Dritter haften. 7  Dafür haftet die Sharing-Plattform ab Kenntnis von der Rechtsverletzung als Störer auf Unterlassung. 8  Dieses Haftungskonzept steht bereits seit geraumer Zeit auf dem Prüfstand. In der Literatur wird ein neues europäisches Haftungsmodell für die Verletzung von Verkehrspflichten diskutiert, das sich von der Trias des BGH „Täter, Teilnehmer, Störer“ löst und eine wertende Betrachtung für die Frage der Täterschaft zulässt. 9  Der BGH hat in diesem Kontext dem EuGH in den Verfahren YouTube  10  und uploaded  11  einige wichtige Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt.

1. Unterlassungshaftung des Störers und Filterpflichten

[5] Aufgrund der Haftungsprivilegierung des Art. 14 E-Commerce-RL (RL 2000/31 EG) und des Verbots allgemeiner Überwachungs- und Kontrollpflichten haftet die Sharing-Plattform bisher erst ab Kenntnis von einer Rechtsverletzung – sie muss den Inhalt dann unverzüglich entfernen. Dem Störer obliegen nach der ersten Urheberrechtsverletzung konkretisierte Prüfpflichten, um weitere künftige Rechtsverletzungen zu vermeiden. 12  Diese Prüfpflichten können den Einsatz von Wortfiltern und sogar eine manuelle Nachkontrolle angesichts deren Fehleranfälligkeit umfassen. Dies bestätigte das OLG Hamburg bereits im Jahr 2015 in einem der von der GEMA gegen YouTube geführten Verfahren. 13  Die Revision zum BGH wurde dann durch einen geschlossenen Vergleich, der eine Lizenzzahlung von YouTube an die GEMA für die erfolgten Nutzungen vorsieht, obsolet. Die Ausgestaltung der Störerhaftung kann also durchaus einen positiven Anreiz haben, Lizenzvereinbarungen zwischen Sharing-Plattformen und Rechteinhabern zu fördern. Dies ist erklärtermaßen auch das primäre Ziel der Regelungen der neuen Urh-RL.

[6] Mit seiner vierten Vorlagefrage im Verfahren gegen YouTube möchte der BGH nun aber vom EuGH wissen, ob es mit Art. 8 Abs. 3 der geltenden Infosoc-RL (RL 2001/29 EG) vereinbar ist, dass eine Unterlassungshaftung von Sharing-Plattformen erst nach erneuter („derartiger“) Rechtsverletzung ausgelöst wird. Damit bestätigt der BGH indirekt, dass sich dem „notice-and-take-down“-Verfahren zur Vermeidung einer erneuten Rechtsverletzung das „stay-down“-Verfahren anschließt. Für Plattformbetreiber bedeutet dies, dass der Einsatz von Wort- und Bildfiltern (sog. Upload-Filter) eindeutig zumutbar ist. 14  Darüber hinaus stellt der BGH sogar in Frage, ob dieses Modell den Rechteinhaber ausreichend schützt.

[7] Teilweise wird die Unterlassungshaftung des Störers erst nach begangener Rechtsverletzung als unzureichend betrachtet, da die Folge der ersten Rechtsverletzung damit nur eine Beseitigungspflicht zur Folge hat. 15  Andere wiederum stellen die Frage, was von einem Verbot allgemeiner Überwachungspflichten übrig bleibt, wenn künftige Rechtsverletzungen verhindert werden müssen. 16  Eine vermittelnde Ansicht betrachtet dieses Haftungsmodell als im Einklang mit dem Gedanken der Haftungsprivilegierung des Art. 14 E-Commerce-RL, da eine Pflicht zur Entfernung ab Kenntnis einer Vorstufe zur Unterlassungshaftung entspricht. 17  Die neue Urh-RL führt also den klassischen Konflikt zwischen dem Schutz des geistigen Eigentums und der Freiheit des Internets (...)

 

Hier direkt weiterlesen im juris PartnerModul IT-Recht


Verlag Dr. Otto Schmidt vom 14.06.2019 16:36

zurück zur vorherigen Seite