EuGH v. 23.5.2019 - C-52/18

Zu Verbraucherrechten bei im Fernabsatz gekaufter mangelhafter Ware

Der EuGH hat sich vorliegend mit der Frage befasst, wo der Verbraucher ein im Fernabsatz erworbenes und seiner Meinung nach mangelhaftes Verbrauchsgut (hier: ein Partyzelt) dem Verkäufer zur Herstellung des vertragsgemäßen Zustands bereitzustellen hat.

Der Sachverhalt:
Das AG Norderstedt hat einen Rechtsstreit zwischen dem Kläger und der beklagten Toolport GmbH zu entscheiden. Der Kläger hatte bei der Beklagten telefonisch ein Zelt (5 x 6 m) gekauft, das seiner Meinung nach mangelhaft ist. Deswegen verlangte er von der Beklagten, an seinem Wohnsitz den vertragsgemäßen Zustand herzustellen. Er schickte das Zelt nicht zurück und bot auch nicht an, dies zu tun. Die Beklagte wies die Mängelrügen des Klägers als unbegründet zurück. Gleichzeitig wies sie ihn weder darauf hin, dass ein Transport des Zelts an ihren Geschäftssitz erforderlich sei, noch bot sie an, für die Transportkosten einen Vorschuss zu leisten. Über den Ort der Herstellung des vertragsgemäßen Zustands hatten die Parteien zu diesem Zeitpunkt keine Abreden getroffen. Außerdem war in dem zwischen ihnen geschlossenen Vertrag hierzu nichts vorgesehen. Unter diesen Umständen erklärte der Kläger den Rücktritt vom Vertrag und verlangte die Rückzahlung des Kaufpreises Zug um Zug gegen Rückgabe des Zelts.

Nach Auffassung des AG ist die Bestimmung des Ortes der Herstellung des vertragsgemäßen Zustands erheblich für die Frage, ob der Kläger die Beklagte binnen einer "angemessen Frist" i.S.v. Art. 3 Abs. 5 der Richtlinie 1999/44 über den Verbrauchsgüterkauf die Möglichkeit zur Nachbesserung oder Ersatzlieferung gegeben hat und somit berechtigt ist, gemäß dieser Vorschrift vom Vertrag zurückzutreten. Es sei - bei Fehlen einer vertraglichen Abrede über den fraglichen Ort und anderweitiger Erkenntnisse aufgrund der jeweiligen Umstände des Einzelfalls - im Licht der BGH-Rechtsprechung das deutsche Recht dahin auszulegen, dass der Verbraucher verpflichtet sei, dem Verkäufer die Ware zur Herstellung des vertragsgemäßen Zustands an dessen Geschäftssitz bereitzustellen.

Das AG hat jedoch Zweifel an der Vereinbarkeit einer solchen Auslegung mit der Richtlinie 1999/44, da nämlich angesichts der Eigenschaften der Ware die Organisation des Transports für den Verbraucher eine "erhebliche Unannehmlichkeit" i.S.v. Art. 3 Abs. 3 der Richtlinie darstellen könne. Es hat daher das Verfahren ausgesetzt und dem EuGH Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt.

Die Gründe:
Art. 3 Abs. 3 der Richtlinie 1999/44/EG ist dahin auszulegen, dass die Mitgliedstaaten für die Bestimmung des Ortes zuständig bleiben, an dem der Verbraucher gemäß dieser Vorschrift dem Verkäufer ein im Fernabsatz erworbenes Verbrauchsgut für die Herstellung des vertragsgemäßen Zustands bereitzustellen hat. Dieser Ort muss für eine unentgeltliche Herstellung des vertragsgemäßen Zustands binnen einer angemessenen Frist ohne erhebliche Unannehmlichkeiten für den Verbraucher geeignet sein, wobei die Art des Verbrauchsgutes sowie der Zweck, für den der Verbraucher das Verbrauchsgut benötigte, zu berücksichtigen sind. Insoweit ist das nationale Gericht verpflichtet, eine mit der Richtlinie 1999/44 vereinbare Auslegung vorzunehmen und ggf. auch eine gefestigte Rechtsprechung zu ändern, wenn diese auf einer Auslegung des nationalen Rechts beruht, die mit den Zielen dieser Richtlinie unvereinbar ist.

An welchem Ort der Verbraucher dem Verkäufer ein im Fernabsatz erworbenes Verbrauchsgut zur Herstellung des vertragsgemäßen Zustands bereitstellen muss, weil er am besten geeignet ist, eine solche unentgeltliche Herstellung des vertragsgemäßen Zustands innerhalb einer angemessenen Frist und ohne erhebliche Unannehmlichkeiten für den Verbraucher sicherzustellen, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab. So kann in bestimmten Fällen sowohl wegen der Art der Verbrauchsgüter, etwa weil sie besonders schwer, sperrig oder zerbrechlich sind, oder weil im Zusammenhang mit dem Versand besonders komplexe Anforderungen zu beachten sind, als auch wegen des Zwecks, für den ein Durchschnittsverbraucher sie benötigt und für den sie möglicherweise vorab aufgebaut werden müssen, ihre Beförderung an den Geschäftssitz des Verkäufers für diesen Verbraucher eine mit den Erfordernissen der Richtlinie unvereinbare erhebliche Unannehmlichkeit darstellen. In anderen Fällen kann dagegen davon ausgegangen werden, dass bei kompakten Verbrauchsgütern, die weder einer speziellen Handhabung noch einer besonderen Transportweise bedürfen, die Beförderung an den Geschäftssitz des Verkäufers für den Verbraucher keine erhebliche Unannehmlichkeit darstellen wird.

Art. 3 Abs. 2 bis 4 der Richtlinie 1999/44 ist dahin auszulegen, dass das Recht des Verbrauchers auf eine "unentgeltliche" Herstellung des vertragsgemäßen Zustands eines im Fernabsatz erworbenen Verbrauchsgutes nicht die Verpflichtung des Verkäufers umfasst, wenn das Verbrauchsgut zum Zweck der Herstellung des vertragsgemäßen Zustands an den Geschäftssitz des Verkäufers transportiert wird, einen Vorschuss auf die damit verbundenen Kosten zu leisten, sofern für den Verbraucher die Tatsache, dass er für diese Kosten in Vorleistung treten muss, keine Belastung darstellt, die ihn von der Geltendmachung seiner Rechte abhalten könnte; dies zu prüfen ist Sache des nationalen Gerichts.

Art. 3 Abs. 3 i.V.m. Art. 3 Abs. 5 zweiter Gedankenstrich der Richtlinie 1999/44 ist dahin auszulegen, dass in einer Situation wie der des Ausgangsverfahrens der Verbraucher, der dem Verkäufer die Vertragswidrigkeit des im Fernabsatz erworbenen Verbrauchsgutes mitgeteilt hat, dessen Transport an den Geschäftssitz des Verkäufers für ihn eine erhebliche Unannehmlichkeit darstellen könnte, und der dem Verkäufer dieses Verbrauchsgut an seinem Wohnsitz zur Herstellung des vertragsgemäßen Zustands bereitgestellt hat, mangels Abhilfe binnen einer angemessenen Frist die Vertragsauflösung verlangen kann, wenn der Verkäufer keinerlei angemessene Maßnahme ergriffen hat, um den vertragsgemäßen Zustand des Verbrauchsgutes herzustellen. Dazu gehört auch, dem Verbraucher den Ort mitzuteilen, an dem er ihm dieses Verbrauchsgut zur Herstellung des vertragsgemäßen Zustands bereitstellen muss. Insoweit ist es Sache des nationalen Gerichts, anhand einer mit der Richtlinie 1999/44 vereinbaren Auslegung sicherzustellen, dass der Verbraucher sein Recht auf Vertragsauflösung ausüben kann.

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Verlag Dr. Otto Schmidt vom 23.05.2019 16:27
Quelle: EuGH online

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