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Löschung und Sperrung von Inhalten aufgrund von Teilnahmebedingungen sozialer Netzwerke (Spindler, CR 2019, 238)

Soziale Netzwerke dienen der öffentlichen Kommunikation. Zahlreiche Instanzgerichte und auch das Schrifttum haben im Hinblick auf Löschungen bzw. Sperrungen von Inhalten und Accounts mehr oder weniger intensive Grundrechtsbindungen ins Spiel gebracht. Der Beitrag bietet nach kurzer Einbettung der untersuchten Frage in den Kontext von “fake news“ und NetzDG (I.) zunächst einen ersten Ansatz für den zugrundeliegenden Vertragstyp zur Teilnahme an einem sozialen Netzwerk (II). Sodann werden exemplarisch die Rechtsnatur der “Gemeinschaftsstandards“ von Facebook als AGB bzw. Leistungsbeschreibung untersucht (III.) und diese “Gemeinschaftsstandards“ einer zivilrechtlichen Inhaltskontrolle unterzogen (IV.).

Eine Untersuchung der zivil- und verfassungsrechtlichen Grundlagen

I. Einleitung

II. Anspruch auf Wiederherstellung von Nachrichten und Äußerungen

III. Löschung aufgrund der Verletzung der „Gemeinschaftsstandards“

1. Der Charakter der „Gemeinschaftsstandards“ als AGB

2. Leistungsbeschreibungen?

3. Überraschende Klauseln (§ 305c BGB)?

IV. Inhaltskontrolle

1. Transparenz

2. Verstoß gegen gesetzliche Leitbilder?

a) Leitbild NetzDG?
b) Leitbild Miet- und Dienstleistungsvertrag

3. Unangemessene Benachteiligung und verfassungsrechtliche Einflüsse

a) Mittelbare Drittwirkung der Grundrechte
aa) Ansatzpunkte für unmittelbare Grundrechtswirkung
bb) Grenzen für unmittelbare Wirkung

b) Unzulässige Beeinträchtigung der Meinungsfreiheit
aa) Grundrechte der Plattformbetreiber
bb) Grundrechte Dritter
cc) Resultierender Maßstab

c) Einseitige Bestimmung?
d) Verfahrensrechtliche Absicherungen?
e) Zwischenfazit

V. Verletzungen der vertraglichen Rechte im Einzelfall

VI. Zusammenfassung

 


 

I. Einleitung

[1] Seit der Zunahme von „fake news“, Hetzkampagnen im Netz und allen möglichen Verunglimpfungen – kurz: seit einer gewissen Radikalisierung gesellschaftspolitischer Debatten auf Internetplattformen und in sozialen Netzwerken – steht deren Regulierung und Bekämpfung im Fokus von Rechtspolitik und rechtswissenschaftlicher Diskussion. Eine der ersten Reaktionen bestand bekanntlich in der Verabschiedung des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes (NetzDG), 1  das große soziale Netzwerke wie Facebook und Twitter zur Publizität über ihr Beschwerdemanagementsystem und zu möglichst raschem Löschen von strafbaren rechtswidrigen Inhalten verpflichten soll. 2  Entgegen einer landläufigen Meinung betrifft das NetzDG nicht jeglichen rechtswidrigen Inhalt, sondern nur die im Katalog des § 1 Abs. 3 NetzDG aufgeführten Straftaten. 3  Nicht vom NetzDG geregelt und Gegenstand etlicher zivilrechtlicher Verfahren in jüngster Zeit ist die Frage, ob Nutzer, deren Inhalte gelöscht oder blockiert wurden, einen Anspruch auf Wiederherstellung haben. Denn soziale Netzwerke wie Facebook gehen aufgrund ihrer sog. „Gemeinschaftsstandards“ (community standards) auch gegen solche Inhalte vor, die nicht die im NetzDG genannten Straftaten, aber eben die jeweiligen Gemeinschaftsstandards verletzen. Implizit stehen daher auch diese Standards im Fokus der gerichtlichen Auseinandersetzungen über die Wiederherstellung zuvor von den Plattformen gelöschter Inhalte, hier zunächst welche Ansprüche überhaupt Nutzern zustehen und wie sie qualifiziert werden können (II.), ferner die Einstufung der Gemeinschaftsstandards als AGB (III.1.) und ihre Inhaltskontrolle im Rahmen der §§ 305 ff. BGB (IV.). Hier spielen insbesondere die (mittelbaren) verfassungsrechtlichen Auswirkungen auf Nutzer, aber auch auf andere Nutzer und die sozialen Netzwerke selbst eine herausragende Rolle (IV.3.).

 

II. Anspruch auf Wiederherstellung von Nachrichten und Äußerungen

[2] Schon die Frage, ob ein Nutzer überhaupt einen Anspruch auf Wiederherstellung von Inhalten auf den sozialen Netzwerken hat, ist bislang nicht geklärt. Das NetzDG selbst enthält keinen derartigen Anspruch; dieser kann auch nicht durch eine analoge Anwendung von § 5 NetzDG konstruiert werden, da im Gesetzgebungsverfahren diese Frage diskutiert, vom Gesetzgeber aber letztlich verworfen wurde. Nicht umsonst sind in den Bundestag verschiedene Gesetzesentwürfe eingebracht worden, die dem fehlenden Wiederherstellungsanspruch abhelfen sollten. 4

[3] Für die anhängigen Auseinandersetzungen spielt allerdings ein solcher gesetzlicher Wiederherstellungsanspruch keine Rolle, denn die Löschungen bzw. Blockierungen der Inhalte stützen sich oftmals nicht auf die im NetzDG genannten Straftatbestände, sondern gehen mit ihrem Rückgriff auf die „Gemeinschaftsstandards“ (Facebook) darüber hinaus. Ansprüche der Nutzer können daher nur auf der Grundlage der allgemeinen zivilrechtlichen Anspruchsgrundlagen geltend gemacht werden; hier vorrangig auf vertragliche Ansprüche 5  – was auch in den meisten bekannt gewordenen Verfahren vorgebracht wird.

[4] Doch schon die Frage, ob und ggf. welcher Vertrag mit einem sozialen Netzwerk abgeschlossen wird, ist umstritten. Prima vista steht den Leistungen der sozialen Netzwerke wie Facebook keine (monetäre) Gegenleistung gegenüber, so dass die Nähe zum Gefälligkeitsverhältnis thematisiert werden könnte. Andere wiederum sehen den Vertrag als unentgeltlich. 6  Nach Meinung anderer können die Rechtsverhältnisse zwischen Nutzern und sozialen Netzwerken als Vertrag qualifiziert werden, der in der Regel auch entgeltlichen Charakter hat. Begründet wird dies damit, dass die vom Nutzer zur Verfügung gestellten Daten die Grundlage sind, mit denen u.a. die sozialen Netzwerke über Werbeaktivitäten etc. die nötigen Einnahmen erzielen. 7  Dem entspricht auch der kurz vor der Verabschiedung stehende Entwurf einer Richtlinie über die Bereitstellung digitaler Inhalte 8 , die grundsätzlich Daten als andere Form der Gegenleistung begreift. 9  Demgemäß liegen durchaus vertragliche Beziehungen zwischen dem Betreiber des sozialen Netzwerks und dem Nutzer vor.

[5] Offen ist bislang, wie dieser Vertrag qualifiziert werden kann, was eine nicht unerhebliche Rolle für die Inhaltskontrolle nach §§ 305 ff. BGB spielen kann: Während etwa das OLG München offenbar mit einem Vertragstyp „sui generis“ liebäugelt, 10  halten sich andere Gerichte ebenso wie der BGH vollkommen mit einer Einstufung in die Vertragstypologie des BGB zurück. 11  Richtigerweise handelt es sich um einen gemischten Vertrag, für den nicht das fragwürdige Konstrukt eines Vertrages „sui generis“ bemüht werden muss; 12  Elemente dieses Vertrages unterliegen dem Mietrecht, etwa hinsichtlich der Speicherung der Inhalte, aber auch dem Dienstleistungsrecht, wenn es um die Herstellung der eigenen Kommunikationsbeziehungen zu Dritten geht, was über das klassische Hosting (die Bereitstellung der Plattform) hinausgeht. 13  Weitere „Features“, etwa das Teilen fremder Inhalte, die Erstellung eines persönlichen Newsfeeds, etc., können ebenfalls dem Dienstleistungs‑, ggf. auch Werkvertragsrecht unterfallen. Sind Inhalte (zu Unrecht) gelöscht worden, liegen Verletzungen der mietvertraglichen Pflicht zur Bereitstellung von Speicherplatz und zur Gewährleistung des Zugangs zu den Inhalten vor; dem entspricht ein Anspruch der Nutzer auf Wiederherstellung der Inhalte als Teil der Hauptleistungspflicht des Vertrages. 14

 

III. Löschung aufgrund der Verletzung der „Gemeinschaftsstandards“

[6] Maßgeblich für die Sperrung bzw. Löschung von Inhalten ist daher die Ausgestaltung der vertraglichen Pflichten beider Parteien (Nutzer, Netzwerkbetreiber) in den Vertragsbedingungen. Hierzu enthalten primär die Nutzungsbedingungen der sozialen Netzwerkbetreiber einschlägige Regeln, für die vorliegenden Fallkonstellationen, vor allem in Kombination mit den sog. „Gemeinschaftsstandards“ (Facebook), die Grundsätze für die Kommunikation der Teilnehmer und für die Inhalte festlegen sollen. Ob diese allerdings als Allgemeine Geschäftsbedingungen einzuordnen sind und welchen Grenzen sie unterliegen, ist in der Rechtsprechung (...)

 

Zu diesem Thema in CR 4/2019:

  • Libertus
    Sperren und Löschen von User-Content durch öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten auf deren Social Media-Präsenzen
    Der Beitrag skizziert zunächst die typischen Ausgangsszenarien (I.) für eine Sperrung von Accounts bzw. Löschung von Inhalten und zeichnet die bisherige Judikatur (II.) nach, bevor die besonderen rechtlichen Fragestellungen für öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten (III.) untersucht werden.
    CR 2019, 262-266
  • Heereman/Selzer
    Löschung rechtskonformer Nutzerinhalte durch Soziale-Netzwerkplattformen
    Der Beitrag gibt einen Überblick über die gesetzlich und vertraglich verankerten Löschrechte und -pflichten von Anbietern Sozialer-Netzwerkplattformen und fasst die aktuelle Rechtsprechung im Hinblick auf die schwierige Aufgabe des Austarierens zwischen dem Schutz vor Hasskommentaren durch Löschen der Beiträge einerseits sowie dem Schutz vor unrechtmäßigem Löschen von durch das Recht auf freie Meinungsäußerung geschützten Beiträgen andererseits zusammen. Darüber hinaus wird die stärkere Einbeziehung der Nutzer in den Löschprozess thematisiert.
    CR 2019, 271-276

 

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Verlag Dr. Otto Schmidt vom 13.04.2019 10:48

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