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Jugendschutz in der virtuellen Realität

avatar  Felix Hilgert
@Felix_CGN

Ein Spielerlebnis, das optisch nicht an den Kanten des Bildschirms endet und ein Steuerungskonzept, bei dem nicht Tastendruck und Mausklick, sondern die Bewegung von Kopf und Körper des Spielers einen Avatar durch Landschaften gehen und Gegenstände ergreifen lässt:

Der rasante Fortschritt bei Virtual Reality-Technik macht ein intensives Eintauchen in digitale Spielwelten möglich. Zahlreiche Video- und Computerspiele setzen bereits auf Virtual Reality-Brillen, um Gamern täuschend echte Spielerfahrungen zu ermöglichen. Daneben existiert auch Zubehör, das durch Vibrationen oder sogar Stöße die Inhalte von Spielen physisch spürbar macht.

Diese Innovationen können auch Auswirkungen auf die jugendschutzrechtliche Bewertung der Spiele haben, wie die ausführliche Analyse von Hilgert/Sümmermann in CR 2/2016 zeigen wird.

Virtual Reality (VR) im Spielebereich

Die Spielebranche entwickelt bereits mit Hochdruck Spiele, die Virtual Reality-Hardware unterstützen. Grundlage der meisten solchen Systeme ist eine Brille mit integrierten Bildschirmen. Sensoren überwachen in Echtzeit die Bewegungen des Nutzers. Jede Bewegung des Kopfes wird unmittelbar in der virtuellen Umgebung umgesetzt. Es ist somit möglich, sich im virtuellen Raum „umzuschauen“. Die Anzeige füllt das gesamte Sichtfeld, die Darstellung ist sehr realitätsnah. Spieler haben das Gefühl, völlig in die virtuelle Umgebung einzutauchen.

Bereits heute sind zahlreiche Titel für das Spielen mit VR-Brillen ausgelegt oder zumindest für eine Verwendung mit diesen geeignet. Mit der Oculus Rift-Brille lassen sich beispielsweise neben aktuellen Titeln wie Dying Light auch ältere Spiele wie das gut 10 Jahre alte Half Life 2 (dazu BGH, Urt. v. 11.2.2010 – 178 ZR 08, CR 2010, 565 m. Anm. Menz/Neubauer) oder der Euro Truck Simulator 2 (aus dem Jahr 2012) spielen.

Jugendschutzrechtliche Bewertung

Bislang ist die jugendschutzrechtliche Bewertung der VR-Technik in der Literatur noch nicht behandelt worden. Anders sieht es in der Praxis aus. So hat z.B. die Demo „The Deep“ von der USK zwei divergierende Einstufungen erhalten:

  • Eine Freigabe ab 12 Jahren bei einer Nutzung auf regulären Bildschirmen und
  • eine Freigabe ab 16 Jahren bei Verwendung mit der PlayStation VR.

Die Träger des europäischen Klassifizierungssystems PEGI überlegen laut Medienberichten insbesondere die Kriterien „Angst“ und „Horror“ einer Neubewertung zu unterziehen, sobald VR-Technik in größerem Umfang vermarktet wird (Calvin, PEGI could adjust age ratings for virtual reality games, MCV v. 19.11.2015).

Jugendschutzneutralität reiner Hardware

Der Vertrieb von Virtual Reality-Hardware ist jugendschutzrechtlich unproblematisch, da das deutsche Recht grundsätzlich keine Altersfreigaben bzw. altersdifferenzierte Abgabebeschränkungen für körperliche Gebrauchsgegenstände kennt. Ausnahmen hiervon bedürfen einer gesetzlichen Grundlage; ein Beispiel hierfür sind die §§ 9 f. JuSchG für Alkohol und Tabakwaren.

Jugendschutzrelevanz VR-geeigneter Spiele

Anders kann dies bei Spielesoftware sein. Gemäß § 14 Abs. 1 JuSchG ist die „Eignung“ eines Spielprogramms, die Entwicklung oder Erziehung von Kindern oder Jugendlichen zu beeinträchtigen, entscheidendes Kriterium für die Altersfreigabe. Die USK berücksichtigt bei ihrer Prüfung alle Beeinträchtigungen in Verbindung mit der Gesamtwirkung des Spiels. Beeinträchtigungen können dabei sowohl vom Inhalt des Bildträgers im Ganzen als auch von seinen Einzelheiten ausgehen.

Allerdings ist für die Alterseinstufung die beim Endkonsumenten konkret verwendete Präsentations- bzw. Darstellungstechnik grundsätzlich unbeachtlich. Die Bewertung erfolgt in der Praxis anhand der bei durchschnittlichen Konsumenten „üblichen“ Präsentationstechnik.

Von dem Grundsatz der Hardwareneutralität der USK-Prüfung eines bestimmten Titels gibt es jedoch Ausnahmen. Insbesondere für die Spielbarkeit essentielle Hardware zählt zu den „für eine sachgemäße Prüfung erforderlichen Materialien“ i.S.d. § 10 Abs. 1 S. 1 USK-Grundsätze (http://www.usk.de/fileadmin/documents/Publisher_Bereich/USK_Grundsaetze_2011.pdf) und ist somit Gegenstand der Prüfung.

Differenzierende Betrachtung

Bei der Betrachtung der jugendschutzrechtlichen Auswirkung von VR-Hardware ist zu differenzieren zwischen:

  • „Offizielle“ Komponenten:  Bereits jetzt ist vom Spielhersteller offiziell unterstützte VR-Hardware bei der jugendschutzrechtlichen Prüfung eines Spiels einzubeziehen. Diese Funktionalität verändert das Spielerlebnis wesentlich, in der Regel wird mit ihr auch geworben. Als integrierter Bestandteil des Gesamtspiels ist sie somit bei der Bewertung zu berücksichtigen.
  • „Inoffizielle“ VR-Komponenten, die ein Nutzer zusätzlich einsetzen kann, ohne dass dies vom Hersteller des Spiels so vorgesehen ist. „Inoffizielle“ VR-Komponenten können auch im Sinne der USK-Grundsätze keine „erforderlichen“ Materialien sein.

Einstufungskriterien

Die jugendschutzrechtliche Bewertung eines Spiels erfolgt anhand der Wirkungsmacht eines Titels auf die verschiedenen Altersgruppen. Offiziell unterstützte VR-Hardware ist dann bei der Alterseinstufung zu berücksichtigen, wenn diese einen signifikanten Einfluss auf die Wirkungsmacht hat. Zur Orientierung dienlich sind die Leitkriterien der USK für die jugendschutzrechtliche Bewertung von Computer- und Videospielen:

  • Die visuelle Umsetzung von VR-Spielen ist derzeit vergleichbar der visuellen Gestaltung herkömmlicher Spiele und daher jugendschutzrechtlich nicht anders zu bewerten als bei herkömmlichen Titeln auch.
  • Erfordert die Steuerung eines Spiels einen besonderen körperlichen Einsatz, der die Identifikation erhöht, fließt dies in die Bewertung der Wirkungsmacht mit ein. Spieler nutzen üblicherweise Maus und Tastatur bzw. Gamepads, um Spiele zu steuern. Hinzu kommen spezielle Controller, wie beispielsweise Lenkräder für Rennsimulationen. VR-Hardware ermöglicht es nun, auch durch Bewegen des Kopfes und – je nach Technik – des gesamten Körpers Einfluss auf die Steuerung zu nehmen. Sie gewinnt an Realität – Bewegungen werden unmittelbar in das Spielgeschehen umgesetzt.
  • Weiter ist der Immersionsgrad zu berücksichtigen. VR-Brillen nutzen eine 3D-Darstellung der Umgebung, um dieses „Mittendrin“-Gefühl zu erhöhen. Hinzu kommt neben der dreidimensionalen Darstellung auch das Reagieren der Anzeigen auf sämtliche Kopfbewegungen und – abhängig von der eingesetzten Technik – dem physischen Feedback auf Berührungen. Allerdings wird diese Immersion auch häufig durchbrochen, etwa wenn Fortbewegung und Interaktion mit der Umwelt über Maus, Tastatur oder Gamepad gesteuert werden müssen. Gerade bei actionlastigen Titeln kann die VR-Technologie daher jedenfalls derzeit ihr Immersionspotential nicht ausschöpfen. Werden Spiele aber mit Rücksicht auf diese Beschränkungen entwickelt (so dass der Fokus weniger auf der eigenen Fortbewegung liegt), kann der Immersionsgrad höher sein.
  • Insbesondere wenn Gewalthandlungen zu bewerten sind, kommt schließlich dem Realismusgrad der Darstellung eine erhebliche Bedeutung zu, wobei die Intensität des Spielerlebens nicht automatisch mit einem höheren Realismusgrad gleichgesetzt werden kann. Zwar konstruiert virtuelle Realität ein auf den ersten Blick ausgesprochen realitätsnahes Setting. Gleichzeitig führt dies aber dazu, dass Abweichungen von der Realität – auch im Sinne eines „unrealistischen“ Fantasy-Szenarios – besonders deutlich wahrgenommen werden. Im Rahmen der Prüfung der eines konkreten Titels sind diese gegenläufigen Effekte hoher Realitätsnähe zu beachten.

Einstufungseffekt von VR-Technik

Die Fähigkeit, Realität von Fiktion zu unterscheiden, ist gerade bei jungen Kindern nicht bzw. wenig ausgeprägt. Im Bereich der Kinderfreigaben ist beim Einsatz von VR-Technik daher im Einzelfall eher eine Verschärfung der Freigaben zu erwarten.

Bei den 12-15-jährigen ist die Rahmungskompetenz dagegen bereits deutlich stärker entwickelt. Hier sind daher weniger starke Einflüsse der VR-Technik auf die Alterskennzeichnungen zu erwarten.

 

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