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„Facebook-Fahndung“: Kein Grund zur Aufregung

avatar  Niko Härting

Wenn die Polizei Fahndungsaufrufe über Facebook verbreitet, ist dies genauso legal wie die Veröffentlichung von Fahndungsvideos auf den Internetseiten einer Tageszeitung. Das BVerfG hat darüber hinaus auch die – offene oder verdeckte – „Internetaufklärung“ für verfassungsmäßig erachtet. Die Skandalisierung der „Facebook-Fahndung“ geht an der Wirklichkeit und dem geltenden Recht schonungslos vorbei.

Die Hannoveraner Polizei hat mehr als 110.000 Fans; jedenfalls bei Facebook: http://www.facebook.com/#!/PolizeiHannover?fref=ts. Die Facebook-Aktivitäten der niedersächsischen Ordnungshüter sind ein erfolgreiches Pilotprojekt, das viel Aufmerksamkeit auf sich gezogen hat („Wie die Polizei in Hannover nach Zeugen sucht“, Handelsblatt online v. 13.11.2012).

Missverständnis polizeilicher Facebook-Präsenz

I like Staat: Lasst die Finger von der Facebook-Fahndung!“ lautet die Ãœberschrift eines Kommentars, der am letzten Sonntag im Berliner Tagesspiegel erschienen ist. Wie zahlreiche andere Kritiker, meint dort Jost Müller-Neuhof, „der Staat“ solle sich von Facebook fernhalten:

„Eine grundsätzliche Frage ist, ob der Staat sich den Internetmilieus anvertrauen sollte. Das würde bei der Facebook-Fahndung geschehen. Der Staat würde sich mit einem der weltweit größten privaten Datensammler verschalten, um einiger Individuen habhaft zu werden, von denen teilweise nicht einmal sicher ist, dass sie etwas verbrochen haben. Der Große Bruder paktiert mit der Krake. Der Staat oder Facebook für sich genommen sind manchmal schon zu viel.“

Der geneigte Leser fragt sich, ob Herr Müller-Neuhof Facebook überhaupt schon einmal genutzt hat. Denn seine Vorstellungen von der teuflischen „Krake“ haben mit der Wirklichkeit wenig gemein. Die Polizei Hannover verbreitet bei Facebook Fahndungsaufrufe und Links auf die eigene Website. Warum soll bei Facebook nicht publiziert werden dürfen, was auf der Website des Tagesspiegels niemanden stören würde? Bis heute kann man beispielsweise über die Tagesspiegel-Website das Polizeivideo abrufen, das zur Ergreifung des „Darkroom-Mörders“ im Mai diesen Jahres führte („Polizei sucht mit Bildern nach Mörder“, Tagesspiegel online v. 22.5.2012).

Facebook ist als „Datensammler“ so „privat“ wie der „Daten sammelnde“ Tagesspiegel oder die Telekom (oder Vodafone), deren Telefon- und Internetleitungen die Polizei Tag für Tag nutzt. Und datenschutzrechtlich ist kein Argument ersichtlich, weshalb für die Verbreitung eines Fahndungsaufrufs über die Internetseiten eines Printmediums etwas anderes gelten soll als für Facebook.

Polizeiliche Nutzung Sozialer Netzwerke

Die Polizei darf Facebook und andere Internetdienste nicht nur – wie die Polizei Hannover – zur Verbreitung von Fahndungsaufrufen nutzen. Es ist ihr darüber hinaus erlaubt, im Internet zur Aufklärung von Straftaten zu recherchieren und in diesem Rahmen auch – offen und sogar verdeckt – zu kommunizieren. Das BVerfG hat dies in seiner Entscheidung zur Online-Durchsuchung deutlich betont (BVerfG, Urt. v. 27.2.2008 – 1 BvR 370/07, CR 2008, 306 = ITRB 2008, 75 (Rössel)):

„Danach wird die reine Internetaufklärung in aller Regel keinen Grundrechtseingriff bewirken. Die Kommunikationsdienste des Internet ermöglichen in weitem Umfang den Aufbau von Kommunikationsbeziehungen, in deren Rahmen das Vertrauen eines Kommunikationsteilnehmers in die Identität und Wahrhaftigkeit seiner Kommunikationspartner nicht schutzwürdig ist, da hierfür keinerlei Ãœberprüfungsmechanismen bereitstehen. Dies gilt selbst dann, wenn bestimmte Personen – etwa im Rahmen eines Diskussionsforums – über einen längeren Zeitraum an der Kommunikation teilnehmen und sich auf diese Weise eine Art „elektronische Gemeinschaft“ gebildet hat. Auch im Rahmen einer solchen Kommunikationsbeziehung ist jedem Teilnehmer bewusst, dass er die Identität seiner Partner nicht kennt oder deren Angaben über sich jedenfalls nicht überprüfen kann. Sein Vertrauen darauf, dass er nicht mit einer staatlichen Stelle kommuniziert, ist in der Folge nicht schutzwürdig.“ (Rz. 311)

Polizeilicher Zwangszugriff auf Datenbestände in Sozialen Netzwerken

Eine ganz andere Frage ist, inwieweit Polizei und Justiz befugt sein sollen, auf Datenbestände bei Facebook & Co. zwangsweise Zugriff zu nehmen. Die EU-Kommission hat sich in ihrem Vorschlag für eine Datenschutz-Grundverordnung (DS-GVO) um strenge Regeln bemüht für den Umgang der Internetdienste mit Daten der Bürger. Dass diese Datenbestände zugleich gegenüber dem informationshungrigen Staat effektiv geschützt werden müssen, kommt in dem EU-Entwurf zu kurz. Der EU-Datenschutzbeauftragte Peter Hustinx hat dies unlängst zurecht kritisiert („EU soll Zugang zu Cloud-Daten für Strafverfolger klären“, Heise online v. 17.11.2012).

 

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Mehr zum Autor: RA Prof. Niko Härting ist namensgebender Partner von HÄRTING Rechtsanwälte, Berlin. Er ist Mitglied der Schriftleitung Computer und Recht (CR) und ständiger Mitarbeiter vom IT-Rechtsberater (ITRB) und vom IP-Rechtsberater (IPRB). Er hat das Standardwerk zum Internetrecht, 6. Aufl. 2017, verfasst und betreut den Webdesign-Vertrag in Redeker (Hrsg.), Handbuch der IT-Verträge (Loseblatt). Zuletzt erschienen: "Datenschutz-Grundverordnung".

Ein Kommentar

  1. avatar woksoll
    Veröffentlicht 27.11.2012 um 22:57 | Permalink

    Das Facebook-Bashing ist schon recht eigenartig.

    Im Umfeld der Justizministerkonferenz wurde neulich das Märchen verbreitet, dass die Persönlichkeitsrechte von Verdächtigen in der Papierwelt besser geschützt worden wären, weil man die Fahndungsfotos anschließend abgehangen habe. Dieses Märchen ist skurril: eine einfache Google-Suche „RAF-Fahndung“ zeigt im Internet zahlreiche Fundstellen von RAF-Plakaten inkl. der Fundstelle bei bundesarchiv.de.

    Andere behaupteten, TV-Fahndungen seien nicht so gefährlich wie bei Facebook. Wer aber sucht, der findet Aktenzeichen-XY-Aufzeichnungen auf Youtube.

    Man fragt sich, wem diese weltfremden Vorwürfe nützen sollen ausser möglichen Straftätern und tatsächlichen.

    Interessant ist auch das Mobbing-Problem. Es wird behauptet, Facebook sei die ursache von Lynch-Mobbing. Tatsache aber ist, dass es den Lynchmob schon seit tausenden von Jahren gibt, früher in der RAF-Zeit die Lynchmobber unbehelligt die Meinunsghoheit über die Stammtische hatte, aber heute dank Facebook vor den Strafrichter kommen und verurteilt werden:
    http://www.ndr.de/regional/niedersachsen/oldenburg/lena813.html

    Cui bono? Wem also nutzt dieses unsachliche Schlechtmachen von Facebook? Ist es der Konkurrenzneid von aussterbenden Zeitungen, die mit dem Leistungsschutzrecht nach dem Staat rufen wie weiland der Kohlenbergbau? Wieso prüfen die Justizministerkonferenz oder die Datenschutzbeauftragten nicht die Fahndungsplakatmärchen, bevor sie die Bevölkerung damit irritieren? Es ist schon absurd, welch sonderliches Ausmaß die Realitätsflucht schafft.

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