Aktuell in der CR:
Nach dem EuGH-Urteil in Sachen YouTube/Cyando: Fast alles geklärt zur Host-Provider-Haftung? (Holznagel, CR 2021, 603)
In den verbundenen Vorlageverfahren C-682/18 und C-683/18 zur urheberrechtlichen (Mit-) Verantwortlichkeit der Plattformen YouTube und Uploaded (Betreiber: Cyando) hat der EuGH ein wichtiges Urteil gefällt. Im Zentrum steht dabei die Frage einer ambitionierten Haftung, nämlich ab wann Plattformen eine solche Rolle einnehmen, dass sie allein aufgrund ihrer strukturellen Ausgestaltung bzw. allein aufgrund des Plattform-Designs unmittelbar und unabhängig von konkreter Kenntnis im Einzelfall (auch auf Schadensersatz) haften. Hier liefert der EuGH einen „Meilenstein“, nämlich eine neue „Formel“ für eine (recht strenge) europäische immaterialgüterrechtliche „secondary liability“.
Zur dazugehörigen Problematik, inwiefern die (von den Gerichten ungeliebte) Haftungsprivilegierung des Art. 14 Abs. 1 E-Commerce-RL (2000/31/EG) entgegensteht, bleibt der EuGH hingegen widersprüchlich. Daneben äußert sich der EuGH zur deutschen Störerhaftung, allerdings nicht hinsichtlich des umstrittenen Aspekts pro-aktiver Verhinderungspflichten. Wie dem auch sei: Mit dem Urteil hat sich die immaterialgüterrechtliche Intermediärshaftung auf einem hohen Niveau konsolidiert. Dies erleichtert den Fokus für den Gesetzgeber, welche „Baustellen“ der Providerhaftung künftig, v.a. im Digital Services Act, angegangen werden sollten.
Zugleich Anmerkung zu EuGH, Urt. v. 22.6.2021 – C-682/18, C-683/18:
INHALTSVERZEICHNIS:
I. Von guten und schlechten Plattformen
II. Relevanz der Verfahren YouTube/Cyando
III. Konsolidierung einer unionsrechtlichen „secondary liability“
IV. Die „neue“ Formel für „öffentliche Wiedergabe“
1. Erste Fallgruppe – Untätigkeit trotz konkreter Kenntnis
2. Zweite Fallgruppe – Schuldhafte Verletzung von Verkehrspflichten
3. Dritte Fallgruppe – Vorsätzliches Fördern von Rechtsverletzungen
V. Wann führt eine „aktive Rolle“ zum Ausschluss von Art. 14 E-Commerce-RL?
1. Problem der Überprivilegierung
2. Widerspruch in der Lösung des EuGH
3. Alternativen: „aktive Rolle“ durch Design oder jenseits des Nutzerauftrags
VI. Vereinbarkeit der Störerhaftung mit Europarecht
1. Die ungenaue Vorlagefrage des BGH
2. Die Antwort des EuGH
3. Keine endgültige Klärung zur Vereinbarkeit der Störerhaftung mit europäischen Vorgaben
VII. Schärfung der Anforderungen an die „notice“ zugunsten der Kommunikationsfreiheiten
VIII. Arbeit für den Gesetzgeber?
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I. Von guten und schlechten Plattformen |
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Vereinfacht urteilt der EuGH: YouTube soll eher nicht unmittelbar haften, Uploaded aber schon. Die maßgebliche Unterscheidung erfolgt anhand der Legitimität des jeweiligen Geschäftsmodells, wobei – und dies ist die Kernaussage des Urteils – maßgeblich ist, wie glaubwürdig eine Plattform „State of the Art“ – Maßnahmen ergreift, um Urheberrechtsverletzungen zu vermeiden (Rz. 84 im Urteil vom 22.6.2021). YouTube sieht der EuGH insofern als hinreichend legitim an, weil die Plattform nicht auf Urheberrechtsverletzungen beruht und die Nutzer hierzu auch nicht verleitet werden (Rz. 96). Bei Uploaded hingegen stellt der EuGH dies zu Recht in Frage, wegen des hohen Anteils von Rechtsverletzungen und weil das zugrunde liegende Geschäftsmodell Nutzer zu Urheberrechtsverletzungen verleitet (Rz. 99 u. 101). |
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II. Relevanz der Verfahren YouTube/Cyando |
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Rechtstechnisch ging es in dem Verfahren vorrangig darum, ob eine Plattform bei entsprechend zentraler Rolle selbst das Tatbestandsmerkmal der öffentlichen Wiedergabe („communication to the public“) in Art. 3 Abs. 1 der InfoSoc-RL (2001/29/EG) erfüllt und die Plattform dann unmittelbar – unabhängig von der Kenntnis im Einzelfall – auch auf Schadensersatz (nicht „nur“ Unterlassen) haftet und inwiefern dann noch die Haftungsprivilegierung in Art. 14 Abs. 1 E-Commerce-RL die eigentlich begründete Haftung ggf. doch wieder ausschließen kann. |
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Der EU-Gesetzgeber hat die Vorlagefragen zwar z.T. spezialgesetzlich überholt, da Art. 17 der neuen UrhR-RL ((EU) 2019/790) für Dienste wie YouTube ein Sonderhaftungsrecht eingeführt hat. Allerdings bleibt Art. 3 Abs. 1 InfoSoc-RL maßgeblich für alle sonstigen Intermediäre, z.B. Plattformen, die von nationalen Umsetzungen der UrhR-RL über de-minimis-Klauseln ausgenommen sind1 oder wenn Dienste von vornherein nicht unter den Plattformbegriff des Art. 17 fallen. Schließlich bleibt zu beachten, dass jegliche Auslegung des unmittelbar nur Urheberrechtsverletzungen betreffenden Art. 3 Abs. 1 InfoSoc-RL Ausstrahlungswirkung auf Haftungskonzepte in verwandten Rechtsgebieten haben kann (v.a. Gewerblicher Rechtsschutz). Aber auch die Haftung von Plattformen für APR-Verletzungen u.Ä. (Hate-Speech, Desinformation, Revenge-Porn usw.) dürfte von Weichenstellungen im Urheberrecht nicht unberührt bleiben. |
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Angesichts der mitbetroffenen äußerungsrechtlichen Dimension (Bedeutung der Plattformen zur Verwirklichung der Kommunikationsfreiheiten bzw. Gefahren hierfür durch zu scharf eingestellte Haftung) geht die Bedeutung der betroffenen Haftungsfragen ohnehin weit über das Immaterialgüterrecht hinaus. (…) |
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