BGH v. 5.12.2019 - XII ZR 116/17

Zugewinnausgleich: Versilberung des Unternehmens zur Mobilisierung des Vermögens

Der Liquidationswert (Zerschlagungswert) gilt in der Regel als unterste Grenze des Unternehmenswerts. Der Ansatz des Liquidationswerts kommt grundsätzlich dann in Betracht, wenn das Unternehmen zur Mobilisierung des Vermögens "versilbert" werden muss, um den Zugewinnausgleich zahlen zu können, oder wenn dem Unternehmen wegen schlechter Ertragslage oder aus sonstigen Gründen keine günstige Fortführungsprognose gestellt werden kann. Will der Schuldner die Fortführung schwebender Vergleichsverhandlungen verweigern, muss er diese Verweigerung wegen der verjährungsrechtlichen Bedeutung für die Durchsetzbarkeit der geltend gemachten Ansprüche durch ein klares und eindeutiges Verhalten zum Ausdruck bringen.

Der Sachverhalt:

Die Parteien sind geschiedene Eheleute und streiten um Zugewinnausgleich. Sie schlossen im März 1999 die Ehe; der Scheidungsantrag wurde im Oktober 2004 zugestellt. Die Antragstellerin (Ehefrau) betreute während der Ehe die beiden 1998 und 2002 geborenen gemeinsamen Kinder. Der Antragsgegner (Ehemann) war seit dem Jahr 2001 als Arzt für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie sowie als Arzt für plastische Chirurgie in H. tätig. Die Tätigkeit als Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurg übte der Ehemann in eigener Praxis (MKG) aus, während er kosmetische Operationen als Konsiliararzt der B. Privatklinik GmbH (BPK-GmbH) durchführte, die er treugeberisch gründen ließ. Geschäftsführerin und Alleingesellschafterin der BPK-GmbH war die Ehefrau. Die BPK-GmbH mietete die für den Praxis- und Klinikbetrieb vorgesehenen Räumlichkeiten an und tätigte hohe kreditfinanzierte Investitionen in deren Ausstattung. Die ausgebauten Räumlichkeiten einschließlich des Inventars wurden dem Ehemann für seine ärztliche Tätigkeit gegen Zahlung einer Vergütung ("Ressourcenmiete") von der BPK-GmbH zur Verfügung gestellt. Beide Ehegatten übernahmen selbstschuldnerische Bürgschaften für die von der BPK-GmbH aufgenommenen Kredite.

Im Mai 2004 trennten sich die Parteien, nachdem sich der Ehemann einer anderen Partnerin zugewendet hatte. Noch im gleichen Monat wurde die Ehefrau als Geschäftsführerin der BPK-GmbH abberufen. Sie trat die von ihr treuhänderisch gehaltenen Geschäftsanteile an der BPK-GmbH an den Ehemann ab. Im August 2005 wurde die BPK-GmbH vom LG rechtskräftig dazu verpflichtet, die Ehefrau von übernommenen Kreditbürgschaften i.H.v. rd. 650.000 € freizustellen, weil die Geschäftsgrundlage für die Bürgschaftsgewährung mit der Beendigung der ehelichen Lebensgemeinschaft entfallen sei. Kurz nach Verkündung des Urteils stellte der Ehemann als neuer Geschäftsführer der BPK-GmbH einen Insolvenzantrag; das Insolvenzverfahren über ihr Vermögen wurde mit Beschluss des Insolvenzgerichts von Oktober 2005 eröffnet. Die von der BPK-GmbH in die Räumlichkeiten eingebrachten Einbauten und Inventargegenstände veräußerte der Insolvenzverwalter der BPK-GmbH im Februar 2006 für einen Kaufpreis von 75.000 € zzgl. Mehrwertsteuer an die O. Services Ltd., deren Gesellschafterin die neue Lebensgefährtin des Ehemanns war. Über das Vermögen des Ehemanns wurde mit Beschluss von November 2005 das Insolvenzverfahren eröffnet. Die MKG-Praxis wurde durch den Insolvenzverwalter des Ehemanns noch im November 2005 geschlossen. Auch die Ehefrau durchlief in der Folgezeit ein Insolvenzverfahren.

Im vorliegenden Verfahren begehrt die Ehefrau von dem Ehemann im Wege einer Stufenklage Auskunft und Zahlung des sich aus der Auskunft ergebenden Zugewinns. Nachdem die Auskunftsstufe durch Teilanerkenntnisurteil von Juni 2006 abgeschlossen worden war, beantragte die Ehefrau mit Schriftsatz von Januar 2008 im Wege der Teilklage Zahlung eines Zugewinnausgleichs i.H.v. 5.000 €. Der Ehemann beantragte, die Klage abzuweisen, und begehrt widerklagend die Feststellung, dass der Ehefrau kein Zugewinnausgleichsanspruch über 5.000 € hinaus zusteht. Das AG hat die Ehe der Parteien mit Verbundurteil vom 15. April 2010 insoweit rechtskräftig mit Ablauf des 9.8.2010 geschieden, den Versorgungsausgleich geregelt und zum Zugewinnausgleich nach den Anträgen des Ehemanns erkannt. Gegen die Entscheidung zum Güterrecht legte die Ehefrau Berufung ein. In der mündlichen Verhandlung am 28.11.2011 haben die Parteien vor dem OLG Vergleichsmöglichkeiten erörtert. Am 9.2.2012 hat der Prozessbevollmächtigte des Ehemanns dem Gericht ein vom gleichen Tage datiertes Schreiben an die Gegenseite vorgelegt, welches auszugsweise folgenden Inhalt hat:

"Mein Mandant hat zwischenzeitlich erfahren, dass ihm durch die von Ihrer Mandantin initiierten und bis zum heutigen Tage andauernden Steuerstrafverfahren Anwaltskosten in fünfstelliger Höhe anfallen werden. Ein Ende dieser Verfahren ist derzeit nicht in Sicht. Mein Mandant ist grundsätzlich weiterhin daran interessiert, sich zu vergleichen. Allerdings will er dieses derzeit vor dem Hintergrund des unsicheren Ausgangs des Steuerstrafverfahrens doch nicht tun. Sollte das Steuerstrafverfahren gegen ihn insgesamt niedergeschlagen sein, so besteht Vergleichsbereitschaft."

Im Juli 2016 stellte die Ehefrau zunächst den klageerweiternden Antrag, den Ehemann zur Zahlung eines Zugewinnausgleichs i.H.v. 50.000 € zu verurteilen. Nach Eingang eines vom OLG eingeholten Sachverständigengutachtens zum Wert der MKG-Praxis und der Anteile des Ehemanns an der BPK-GmbH erweiterte die Ehefrau im Verhandlungstermin im September 2017 ihren Antrag nochmals und begehrte nunmehr Zahlung eines Zugewinnausgleichs i.H.v. rd. 250.000 €. Das OLG verurteilte den Ehemann zur Zahlung eines Zugewinnausgleichs i.H.v. rd. 70.000 € nebst Zinsen.

Auf die Revision des Ehemanns hob der BGH das Berufungsurteil insoweit auf, als zum Nachteil des Antragsgegners entschieden worden ist, und verwies die Sache im Umfang der Aufhebung zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das OLG zurück.

Die Gründe:

Mit Recht beanstandet die Revision demgegenüber, dass das OLG das Anlagevermögen der BPK GmbH auf der Grundlage der bislang getroffenen Feststellungen mit rd. 826.000 € bewertet hat.

Der Substanzwert eines Unternehmens ist grundsätzlich mit dem Betrag zu bemessen, mit dem die Gesamtheit aller materiellen Wirtschaftsgüter im Falle eines Unternehmensverkaufs auf den gedachten Erwerber übergeht. Die Heranziehung des Substanzwerts bzw. Reproduktionswerts für die Bemessung des Unternehmenswerts beruht allerdings auf der Grundannahme, dass das Unternehmen über den Bewertungsstichtag hinaus fortgeführt wird. Auch der Sachverständige hat ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die von ihm vorgenommene Bewertung des Sachvermögens unter Fortführungsgesichtspunkten erfolge.

Der Liquidationswert (Zerschlagungswert) gilt in der Regel als unterste Grenze des Unternehmenswerts. Der Ansatz des Liquidationswerts kommt grundsätzlich dann in Betracht, wenn das Unternehmen zur Mobilisierung des Vermögens "versilbert" werden muss, um den Zugewinnausgleich zahlen zu können, oder wenn dem Unternehmen wegen schlechter Ertragslage oder aus sonstigen Gründen keine günstige Fortführungsprognose gestellt werden kann. Insoweit beanstandet die Revision zu Recht, dass es an tragfähigen Erwägungen des OLG zu einer günstigen Fortführungsprognose für die BPK GmbH fehlt.

Das Urteil war danach aufzuheben, und die Sache an das OLG zurückzuverweisen. Entgegen der Ansicht der Revision ist ein Anspruch der Ehefrau auf Zahlung von Zugewinnausgleich in Höhe eines 5.000 € übersteigenden Betrags nicht verjährt. Für die Frage, ob die im Juli 2016 und im September 2017 erfolgten Klageerweiterungen in unverjährter Zeit erfolgten, kommt es entscheidend darauf an, ob und ggf. wie lange die Verjährung wegen des 5.000 € übersteigenden Zugewinnausgleichsanspruchs im Zeitraum seit dem 28.11.2011 durch schwebende Verhandlungen i.S.v. § 203 BGB gehemmt worden ist. Die Parteien haben im Einzelrichtertermin vor dem OLG am 28.11.2011 einen Vergleichsschluss in einer Größenordnung von rd. 60.000 € erörtert und erklärt, dass sie nach Abklärung der Frage, ob dem Ehemann in seinem Insolvenzverfahren Restschuldbefreiung erteilt werden würde, möglichst den Abschluss einer Vereinbarung anstreben wollten.

Entgegen der Auffassung der Revision sind diese Verhandlungen durch die Schreiben des Prozessbevollmächtigten des Ehemanns vom 9.2.2012 an das Gericht und an den Prozessbevollmächtigten der Ehefrau nicht beendet worden. Die Verhandlungen sind dann beendet, wenn eine Partei die Fortsetzung der Verhandlung verweigert. Wegen der Bedeutung für die Durchsetzbarkeit der geltend gemachten Ansprüche muss diese Verweigerung nach ständiger BGH-Rechtsprechung durch ein klares und eindeutiges Verhalten zum Ausdruck gebracht werden. Eine einvernehmliche Unterbrechung der Verhandlungen die insbesondere durch das Abwarten weiterer Entwicklungen oder den Ausgang anderer gerichtlicher Verfahren motiviert sein kann führt demgegenüber nicht zu einem Ende der Verhandlungen. Ob und ggf. zu welchem Zeitpunkt die Verhandlungen bei einer Verhandlungspause beendet sind, hängt davon ab, von welcher Partei nach dem Inhalt der Vereinbarungen oder nach Treu und Glauben ein Aufgreifen der Verhandlungen erwartet werden muss.

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Verlag Dr. Otto Schmidt vom 22.01.2019 11:49
Quelle: BGH online

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