Aktuell in CR

Geheimnisschutz ist eine große Nische (Ziegelmayer, CR 2018, 693)

Mit einiger Verspätung wird die Geheimnisschutz-Richtlinie durch ein eigenes Stammgesetz umgesetzt, das nicht nur das UWG nachhaltig verändert. Der Vorteil, dass damit Unternehmensgeheimnisse zumindest in ihren Rechtsfolgen den Rang eines Schutzrechts erhalten, geht mit der Notwendigkeit einher, „angemessene Schutzmaßnahmen“ im Unternehmen zu implementieren. Diese erschöpfen sich keineswegs nur in Maßnahmen zur IT-Sicherheit. Wer untätig bleibt, wird künftig weder vor Gericht, noch an anderer Stelle über Betriebsspionage klagen können. Der Beitrag soll einige, bislang kaum diskutierte Chancen und Risiken der neuen Rechtslage beleuchten.

Inhaltsverzeichnis:

I. Geheimnisschutz: „Stiefkind“ des Gesetzgebers und der Unternehmen

1. Fehleinschätzungen des Gesetzgebers

a) Handlungsbedarf für die Unternehmen
b) Folgenabschätzung für die Justiz

2. Missverständnisse und Versäumnisse der Unternehmen beim Geheimnisschutz

a) Reduzierung des Begriffs „Know-how“ auf technisches Wissen
b) Gleichsetzung von Geheimnisschutz mit IT-Sicherheit
c) Fehlende Sensibilisierung im HR-Bereich für das Haftungspotential bei Geheimnisverletzung
d) Das „NDA“: Oft zahnloser
Tiger denn Allheilmittel

II. Chancen und Risiken des GeschGehG

1. Reverse Engineering zulässig

2. Geschäftsgeheimnisse als „Schutz“ vor datenschutzrechtlichen Auskunftsansprüchen

3. Verfolgung – und Verletzung – von fremdem „Dateneigentum“ zeitigt schwere Sanktionen

a) Scharfe Sanktionsmöglichkeiten für den Verletzten
b) Erhebliche (neue) Haftungsrisiken für den Verletzer/Wettbewerber

4. Gerichtsverfahren werden (noch) effektiver

III. Ausblick


I. Geheimnisschutz: „Stiefkind“ des Gesetzgebers und der Unternehmen

1 Das von Ann[1] bemühte Bild des Know-how-Schutzes als „Stiefkind“ des Geistigen Eigentums hat nach wie vor Gültigkeit. Allerdings werden sich Inhaber von Geheimnissen mit dem neuen und möglicherweise noch in diesem Jahr in Kraft tretenden Gesetz zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen (GeschGehG) zur Umsetzung der Know-how-Richtlinie[2] jetzt zwingend vor die Wahl gestellt: Entweder sie adoptieren nun das Stiefkind, nehmen Geheimnisschutz ernst und etablieren ein umfassendes Schutzkonzept. Dann wird das neue Gesetz zum scharfen Schwert im Falle eines Abflusses von sensiblem Wissen. Oder aber sie sparen sich die erforderlichen, möglicherweise aufwendigen Schutzmechanismen. Dann stehen sie im Falle von Betriebsspionage, die in den vergangenen beiden Jahren ca. 43 Milliarden Euro Schaden in der deutschen Wirtschaft verursacht hat[3], jedenfalls zivilrechtlich schutzlos da und dürfen sich darüber folglich auch nicht mehr beklagen.

2 Da mangelnde Compliance mit den Vorgaben des neuen Gesetzes nicht – wie etwa im Falle der DSGVO – bußgeldbewehrt ist und das Thema erst (zu) langsam zur Chefsache wird, werden viele Unternehmen erst im Ernstfall die schmerzliche Erfahrung machen, was es bedeutet, ohne juristische Handhabe gegen Spionage dazustehen.

1. Fehleinschätzungen des Gesetzgebers

3 Im aktuellen Gesetzesentwurf der Bundesregierung[4] zeigt sich – für den Praktiker durchaus schockierend – wie naiv bereits der Gesetzeber bei der Bewertung von Bedeutung, Auswirkungen und Kosten des GeschGehG vorgegangen ist:

a) Handlungsbedarf für die Unternehmen

4 Das neue Gesetz verlangt in § 2 Nr. 1 b) GeschGehG-RegE, dass ein zu schützendes Geheimnis „Gegenstand von den Umständen nach angemessenen Geheimhaltungsmaßnahmen durch ihren rechtmäßigen Inhaber“ sein muss. Welche Maßnahmen man als angemessen im Hinblick auf eine konkrete Information (etwa eine Rezeptur, einen Datensatz oder eine Konstruktionszeichnung) erachtet, wird stark vom Einzelfall abhängen. Es besteht Einigkeit, dass technische und physische Sicherheitsvorkehrungen, vertragliche Vereinbarungen, Anweisungen und Belehrungen gegenüber Mitarbeitern sowie Geheimhaltungshinweise auf Dokumenten solche Maßnahmen sein können[5]. Hierbei spielen z.B. der Wert der Information, der Grad des Wettbewerbsvorteils durch die Geheimhaltung, der Schwierigkeit der Geheimhaltung sowie der konkreten Gefährdung der Geheimhaltung eine Rolle. Es liegt auf der Hand, dass effektive Maßnahmen zum Schutz von Geheimnissen daher im Einzelfall sehr aufwendig und teuer sein können, insbesondere wenn es dabei um „Kronjuwelen“ im Unternehmen geht, die sich nicht anders als durch Geheimhaltung schützen lassen.

5 Während im Referentenentwurf des BMJV[6] (insofern durchaus zutreffend) im Hinblick auf den Erfüllungsaufwand für die Wirtschaft durch das GeschGeheG daher noch zu lesen war, dass dieser „nicht geschätzt werden [könne], weil die angemessenen Maßnahmen abhängig von der Art des Geschäftsgeheimnisses und des Unternehmens sehr unterschiedlich sein können“, wurde diese Einschätzung aus dem späteren Regierungsentwurf[7] wieder entfernt. Dort heißt es nur mehr, dass allenfalls „ein Teil der Kleinstunternehmen“ angemessene Geheimhaltungsmaßnahmen implementieren müsste. Größere und mittlere Betriebe schützten schließlich bereits jetzt ihre Geschäftsgeheimnisse, etwa durch Zugangskontrollen oder vertragliche Geheimhaltungsverpflichtungen. Es sei daher von einem „einmaligen Umstellungsaufwand von 6.440.000 Euro“ auszugehen.

6 Diese Einschätzung ist – vorsichtig formuliert – blauäugig: Wäre es zutreffend, dass größere und mittlere Betriebe bereits über „angemessene Schutzmaßnahmen“ verfügten, wären die oben bezifferten gesamtwirtschaftlichen Schäden durch Betriebsspionage nicht zu erklären. In einer repräsentativen Umfrage aus dem Jahr 2017 gaben vielmehr die dort befragten Unternehmen ausdrücklich an, dass lediglich 24 % von ihnen Sicherheits-Audits durch externe Spezialisten vornähmen und gerade einmal 53 % ihre Mitarbeiter zu diesem Thema überhaupt schulen, obgleich dieselben Studien immer wieder belegen, dass die eigenen Mitarbeiter die größte Gefahr für die Geheimnisse eines Unternehmens darstellen[8] – und dies unabhängig von der Unternehmensgröße. Von bereits etablierten Schutzmaßnahmen, wie sie das GeschGehG voraussetzt, um überhaupt in dessen Anwendungs- und Schutzbereich des Gesetzes zu fallen, kann daher (jedenfalls noch) keine Rede sein. Das bedeutet auch, dass vermutlich die überwiegende Zahl der Unternehmen mangels solcher Maßnahmen künftig vor Gericht chancenlos wäre. Das ist fatal.

b) Folgenabschätzung für die Justiz

7 Auch die Folgen des GeschGehG für die Verfahren der Rechtsdurchsetzung im Falle einer Verletzung von Geschäftsgeheimnissen wurden vom Gesetzgeber verkannt. Allen Ernstes hieß es im ursprünglichen Regierungsentwurf: „Unter der Annahme, dass angesichts von derzeit jährlich vier bei ‚juris’ veröffentlichten Entscheidungen zu den §§ 17, 18 UWG von 20 Verfahren jährlich auszugehen ist, wird durch die Verbesserung des Rechtsschutzes durch Inkrafttreten des Entwurfs von 80 zusätzlichen Verfahren pro Jahr ausgegangen.“[9] Der Gedanke, sich abseits einer einfachen „juris“-Recherche ein realistisches Bild allein über die quantitative Bedeutung dieses Rechtsgebiets mit seinen Bezügen zum Arbeitsrecht, gewerblichen Rechtsschutz und zum Strafrecht[10] in der Justiz zu machen, kam im Gesetzgebungsverfahren offenbar gar nicht erst auf. Stattdessen sind die Zahlen im aktuellen Regierungsentwurf bestehen geblieben, der Hinweis auf die „juris“-Recherche jedoch verschwunden. Anscheinend schreibt der Gesetzgeber Geheimnisschutzverfahren ein absolutes Nischendasein zu.

8 Tatsächlich handelt es sich beim Geheimnisschutz um eine zumindest sehr große „Nische“, die sich mit den Bedrohungen für Informationen in Unternehmen durch Mitarbeiter, Cyberattacken und Wettbewerber buchstäblich täglich ausdehnt: Die Schätzungen der Bundesregierung zu dem Umfang der Gerichtsverfahren widersprechen nicht nur den Erfahrungswerten in der forensischen Praxis, sondern blenden vollkommen aus, dass ein Großteil der streitigen Verfahren solche des einstweiligen Rechtsschutzes sind, deren Entscheidung in den seltensten Fällen veröffentlicht werden. Hinzu kommt, dass sich auch Hauptsacheverfahren deshalb nicht bei „juris“ recherchieren lassen, weil Gerichte und Beteiligte an einer Veröffentlichung naturgemäß kein Interesse haben werden und sie daher auch nicht weitergeben.

9 Tatsächlich gibt es schon heute eine erhebliche Zahl von Verfahren und es ist absehbar, dass deren Zahl vor den Gerichten der ordentlichen und der Arbeitsgerichtsbarkeit deutlich über die von der Bundesregierung gemutmaßten Zahlen steigen wird, weil die Rechtsschutzmöglichkeiten gegen Wissensverlust durch das neue GeschGehG gestärkt werden. Umso notwendiger ist es, neben Unternehmen auch die Gerichte für die neuen Aufgaben in diesem Bereich zu rüsten und etwa die in der Arbeitsgerichtsbarkeit die völlig unübliche, gleichwohl ohne weiteres zulässige Praxis des Erlasses einstweiliger Verfügungen ohne mündliche Verhandlung Einzug halten zu lassen. Leider hat der Gesetzgeber nach derzeitigem Stand durch die Abschaffung des bisher auch in Geheimnisschutzsachen unproblematischen „fliegenden Gerichtsstands“[11] (vgl. § 15 Abs. 2 GeschGehG-RegE) auch in diesem Rechtsgebiet die Hoffnung auf Gerichte, die sich auf den Geheimnisschutz spezialisieren könnten, im Keim erstickt. Dennoch gibt das neue Recht dem Praktiker Instrumente an die Hand, die die Rechtsdurchsetzung erleichtern werden – allerdings nur in dem Fall, dass betroffene Unternehmen sich vorbereitet haben.

2. Missverständnisse und Versäumnisse der Unternehmen beim Geheimnisschutz

10 In der Praxis ist zu beobachten, dass es Unternehmen sehr schwerfällt, das Thema Geheimnisschutz überhaupt gewinnbringend einzuordnen. Während sich bei großen Unternehmen aufgrund der Silobildung in der Unternehmensorganisation oft keine Fachabteilung findet, die sich originär verantwortlich fühlt, obwohl gerade dies für kritisches Wissen unverzichtbar ist, verfügen kleinere Unternehmen nicht über die notwendigen Strukturen für einen angemessenen Geheimnisschutz. Nachfolgend sollen kurz einige typische Missverständnisse und Versäumnisse, wie sie in vielen Unternehmen zum Thema Geheimnisschutz vorherrschen, mit entsprechenden Empfehlungen zu deren Behebung dargestellt werden:


Verlag Dr. Otto Schmidt vom 14.11.2018 17:36

zurück zur vorherigen Seite